In der Zeitung Thema Jugend ist in der aktuellen Ausgabe THEMA JUGEND Nr. 3/2015 folgender Artikel erschienen: TJ_3_2015_Interview

Sara Remke

Im Interview: Angelika Wennemer-Heitjan und die Streitschlichterinnen Johanna, Nele, Marike und Leona

   DSCN2215 Das Emsland-Gymnasium Rheine geht seit einigen Jahren einen innovativen Weg in Bezug auf Prävention von Mobbing. Frau Wennemer-Heitjan initiierte die Kopplung des Streitschlichterprogramms mit einem selbst konzipierten Patenamt. Dabei übernehmen Schüler/-innen der Oberstufe nach einjähriger Ausbildung in Patenamt und Streitschlichtung die Begleitung der fünften Klassen. Über die Funktion der Paten nehmen sie an vielen Aktionen zur Klassengemeinschaft teil und unterstützen so die Klassenlehrer/-innen. Diese regelmäßigen Treffen bilden Vertrauen. Durch dieses und ihre qualifizierte Präsenz erleichtern die Paten bzw. Streitschlichter/-innen den Schüler/-innen die Ansprache bei Schwierigkeiten und Problemen untereinander. Bei auftretenden Konflikten können die Oberstufenschüler/-innen so schnell und vorbeugend eingreifen und als Streitschlichter/-innen die Konflikte mit den Beteiligten lösen. Insgesamt ein Konzept, das nicht nur zum Ziel hat, Mobbing zu begegnen, sondern langfristig eine Streitkultur an der Schule zu implementieren, die ein respektvollen und wertschätzenden untereinander möglich macht. Im Interview berichten Schülerinnen und begleitende Lehrerin von ihren Erfahrungen mit diesem Konzept und erläutern die Idee der Implementierung einer Streitkultur.

Frau Wennemer-Heitjan, Sie sind Beauftragte für Streitschlichtung am Emsland-Gymnasium in Rheine. Was hat Sie an dieser Aufgabe und an diesem Themenfeld gereizt?

Wennemer-Heitjan: Ich war und bin der Überzeugung, dass Konflikte immer auftreten, was ja auch normal ist. Entscheidend ist, wie damit umgegangen wird. Bei richtigem Umgang kann man oftmals Schlimmeres verhindern. Die Frage ist aber: Wie und wo lernt man einen möglichst konstruktiven Umgang mit Konflikten? Nach der Qualifikation zur Mediatorin war ich von dem Verfahren der Streitschlichtung überzeugt. Gereizt hat mich auch, Schüler/-innen nicht nur im fachlichen Kontext zu unterrichten, sondern ein Spektrum sozialer Kompetenzen zu vermitteln bzw. sie in ihren sozialen Kompetenzen zu bestärken.

Warum ist Streitschlichtung und die Begleitung durch Lehrer/-innen für Ihre Schule notwendig geworden?

Wennemer-Heitjan: Es bestand nach meinem Kenntnisstand nicht unbedingt die Notwendigkeit. Meine Idee, mit der Ausbildung von Paten und Streitschlichter/-innen für die fünften Klassen eine bestimmte Streitkultur zu implementieren, wurde aber gerne aufgegriffen.

Wie ist Ihr Engagement im Kollegium und in den pädagogischen Netzwerken anerkannt?

Wennemer-Heitjan: Neben den Paten und Streitschlichter/-innen gibt es im Rahmen der Persönlichkeitsentwicklung am Emsland-Gymnasium noch die SaMs (Schüler/-innen als Multiplikator/-innen), eine Beratungslehrerin und ein Kriseninterventionsteam – die Schule investiert also in dieses Thema. In Bezug auf das Kollegium würde ich sagen, dass es teilweise die Chance, die die Paten und Streitschlichter/-innen bieten, nicht immer wahrnimmt. Die Lehrer/-innen könnten durch die Arbeit der Patenteams noch mehr entlastet werden.

Sie haben ein eigenes Konzept zur Prävention von Mobbing und zur Implementierung einer Streitkultur erarbeitet. Was ist aus Ihrer Sicht das reizvolle an der Verknüpfung von Patenamt und Streitschlichtung?

Also, die besondere Qualität ist, dass die Paten – in der Regel drei pro Klasse – einen Kontakt zu den Fünfklässlern aufbauen und ja auch häufig mit ihnen zu tun haben, Ansprechpartner/-innen sind. Wenn dann Streitigkeiten auftreten, sind die Schüler/-innen natürlich auch eher bereit, das Problem mit den Paten zu besprechen. Ich halte diese Kombination für eine sehr fruchtbare Sache, in deren Mittelpunkt Vertrauen und Präsenz stehen.

Streitschlichtung ist letztlich Engagement von Schüler/-innen für Schüler/-innen. Aber wie genau wird man „Streitschlichter/-in“?

Marike: Wir hatten ja die Ausbildung bei Frau Wennemer-Heitjan. Wir haben uns jede Woche für eine Stunde getroffen, jeweils am Nachmittag. Und dann haben wir ganz viele Übungen gemacht und Frau Wennemar-Heitjan hat uns auch erst einmal die Grundlagen des Patenamts und der Streitschlichtung erklärt. Zudem benötigt man auch generell eine gewisse Einstellung zum Thema Mobbing. Schließlich wurde uns auch das Prinzip der Mediation beigebracht. Denn Streitschlichtung ist ja die Mediation. Und dann haben wir selbst als Gruppe ganz viele Spiele gemacht, damit wir diese auch später mit den Klassen anwenden können, z.B. zum Thema Vertrauen, zum Kennenlernen oder einfach, damit man Spaß miteinander hat.

Wie ist das Streitschlichter-Programm aufgebaut? Skizzieren Sie doch bitte kurz den Ablauf des Schulungsprogramms.

Wennemer-Heitjan: Es bestehen fünf Phasen der Mediation, in die mit vielen Rollenspielen und einem theoretischen Unterbau eingeführt wird. Zu den Inhalten der Schulung gehört es zunächst, Gefühle zu erkennen und zu benennen – und das Verfahren des Spiegelns. Kennenlernspiele und Methoden zur Stärkung der Klassengemeinschaft sollen Klassenprozesse später unterstützen. Dann gibt es den Bereich der Mobbingprävention: Mobbing erkennen, entsprechende Maßnahmen zur Vermeidung und das Verfahren No Blame-Approach werden dabei den Schüler/-innen näher gebracht. Zudem existiert an unserer Schule ein Raum der Stille, der für Mediationsgespräche genutzt wird und in dem sich unterstützende Materialien befinden. Hier finden dann Fantasiereisen oder auch Spiele zur Entspannung statt.

Welche Inhalte der Ausbildung fordern aus Ihrer Sicht Schüler/-innen heraus?

Wennemer-Heitjan: Ich hatte das Gefühl, als es um die Streitschlichtung ging und um die Phase, wo die Ursache des Streites erhellt werden soll – das ist das Eisbergmodell: Was nach außen dringt, zunächst mal gesagt wird, ist ja die Spitze des Eisbergs und dann muss man geschickt Fragen stellen, um an den eigentlichen Kern zu kommen – da hatte ich das Gefühl, dass die Schüler/-innen herausgefordert waren. Und beim Anwenden des Spiegelns – also das, was derjenige sagt, mit der Mimik und Gestik von ihm zusammenzubringen und daraus dann formulieren, was man glaubt, was in ihm vorgeht – daran haben wir sehr viel über Rollenspiele gearbeitet. Diese beiden Methoden sind nach meinem Dafürhalten tatsächliche Herausforderungen für die Schüler/-innen während der Ausbildung gewesen.

Aus welchem Grund wolltest du „Streitschlichter“ werden?

Leona: Also, ich fand es persönlich für mich in der fünften Klasse schade, dass wir noch keine Pat/-innen hatten, sondern nur die Lehrer/-innen als Ansprechpartner/-innen. Es besteht einfach ein anderes Verhältnis zwischen Fünftklässler/-in und älterer Schülerin als zum Klassenlehrer oder zur Klassenlehrerin. Und deswegen ist es eine gute Chance für die Kinder, die neu an die Schule kommen, dass sie sich orientieren können und jemanden haben, den sie etwas fragen können. Sie können nach einem Raum fragen oder aber auch um Hilfe bitten, wenn sie mit einem Lehrer oder einer Lehrerin nicht so gut zurechtkommen. Das gibt ihnen Sicherheit und deswegen erachte ich es als eine sehr gute Chance. Und so hatte ich einfach Lust, es den Kindern zu ermöglichen.

Marike: Es macht ja auch viel Spaß! Mir macht es generell viel Spaß mit Kindern und ich glaube, das geht uns allen so, sonst würden wir das ja auch nicht machen. Und dafür lohnt es sich auch, selbst wenn es Zeit kostet. Außerdem kann man das, was man bei der Ausbildung mitnimmt, auch für den Alltag und das weitere Leben selbst gut anwenden.

Die Paten fahren auch auf Klassenfahrten mit. Was habt ihr in der Begleitung für Erfahrungen gemacht?

Nele: Das war schon sehr anstrengend, aber das hat uns sehr viel Spaß gemacht!

Leona oder Johanna?: Hätten wir solch eine Begleitung früher auch gehabt, wäre die Klassenfahrt meiner Meinung nach auch viel besser gewesen. Wir hatten ja nur unsere Lehrer/-innen dabei und konnten uns sonst an niemanden wenden. Als Patinnen haben wir gemerkt, dass die Kinder viel öfter zu uns gekommen sind als erwartet. Sie sind dann zum Beispiel zu uns gekommen, weil sie Heimweh hatten. Und da wir direkt auf dem gleichen Flur geschlafen haben, hat es sich halt angeboten, dass sie uns angesprochen haben, wenn sie nicht einschlafen konnten oder irgendetwas anderes hatten.

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Gibt es ein Erlebnis, eine Erfahrung, die für Sie Ihre Einstellung / Haltung zu Mobbing nachdrücklich geprägt hat?

Leona: Für mich war es teilweise schon sehr erschreckend zu bemerken, wie unsicher oder traurig Kinder, die gemobbt oder auch nur ausgegrenzt wurden, das gemacht hat. Wenn Kinder dann bei uns angefangen haben zu weinen und uns auch von ihren Gefühlen erzählt haben…dann zu merken, wie sie das Erlebte verletzt hat und was das insgesamt mit ihnen macht, dass sie gar keine Lust mehr haben, zur Schule zu gehen.

Marike: Bei mir war noch eine andere Situation prägend: Da ist jemand durch Mobbing sehr aggressiv geworden. Dadurch ist dann viel Streit entstanden, weil sich die Beteiligten sogar geschlagen oder geschubst haben…Das ist dann auch eine Unsicherheit, die man spüren kann, nur ein ganz anderer Ausdruck als z.B. Weinen.

Wennemar-Heitjan: …dass gerade Kinder durch Mobbing sehr verunsichert sind und sich zurückziehen, total unter ihren Möglichkeiten bleiben, das geht auch mir immer sehr nah. Und deshalb war es für mich auch wichtig, dass es bei der Streitschlichtung nicht nur um Mediation geht, sondern wir auch Anti-Mobbing-Stunden eingerichtet haben oder wir bei Mobbingvorfällen direkt nach dem No Blame-Approach reagieren. Und das Patenamt hilft da einfach sehr, es für die/den Einzelne/n gar nicht so weit kommen zu lassen, dass Schule für ihn oder sie zu einem negativen Ort wird.

Welche Talente braucht man deiner Meinung nach als Streitschlichter?

Johanna: Ich glaube, das Wichtigste ist, dass man hilfsbereit ist und gut zuhören kann. Man sollte auch der ganzen Klasse und jedem Einzelnen zeigen, dass man für sie da ist und sie mit einem reden können. Wenn man einen Streit schlichtet, sollte man zudem auf jeden Fall geduldig sein, weil es lange dauert bis die Beteiligten wirklich alles erzählen, was ihnen auf dem Herzen liegt – wie wir das schon gesagt haben mit diesem Eisberg. Schließlich sollte man dann, wenn es darum geht, eine Lösung zu finden, auf jeden Fall unparteiisch sein, weil wir ja den Kindern nicht sagen wollen, der/die eine hat Recht und der/die andere nicht.

Welche Aufgaben hat man als „Streitschlichter/-in“ und als Pate?DSCN2225

Marike: Beim Pate-Sein ist die größte Aufgabe, für die Kinder da zu sein. Es gibt schon vor den Sommerferien einen Kennenlerntag, an dem die Pat/-innen auch teilnehmen und sich vorstellen. Sie übernehmen auch schon Aufgaben wie erste Spiele, Steckbriefe und Fotos (machen). Und am ersten Schultag ist man dann auch dabei, weil man als Schüler/-in vielleicht sogar besser Tipps geben kann als ein/e Lehrer/-in… Wir haben an diesem Tag auch Spiele gemacht und schon die wichtigsten Regeln zur Streitschlichtung erklärt. Und dann haben wir später auch Steckbriefe gemacht. Wir fahren mit auf Klassenfahrt und gehen auch nach Möglichkeit bei Wandertagen mit, nehmen an der Weihnachtsfeier teil…So versuchen wir, so oft es geht, bei der Klasse zu sein, insbesondere bei den Veranstaltungen, die eher außerunterrichtlich sind. So wächst eine Beziehung und die Kinder erzählen auch, was sie stört.

Leona: Das ist auch gerade das Positive am Programm an unserer Schule: Dass wir durch die Patenschaft ja die Kinder gut kennen und dann vielleicht auch die Probleme schneller erkennen können. Wir können durch die Beziehung und den regelmäßigen Kontakt besser feststellen, zwischen wem es gerade nicht so gut läuft. Und daraufhin machen wir dann auch z.B. Anti-Mobbingstunden, damit ein Konflikt gar nicht erst größer wird. Insgesamt wissen die Kinder durch unsere Präsenz, dass sie immer zu uns kommen können – bei kleinen und größeren Problemen. Wenn man nur Streitschlichter/-in wäre, dann würden die Kinder nur auf einen zukommen, wenn sie Probleme haben und selbst dann könnten die Kinder gar nicht so das Vertrauen haben. Vertrauen wächst durch den regelmäßigen Kontakt. Wir sind aber in der Verantwortung als Paten, eigentlich immer auch auf das Klassenklima zu schauen.

Wo und wann kann man die Streitschlichter finden? Wie spricht man dich als „Streitschlichter“ an?

Johanna: Es gibt ja diesen „Sockenraum“ (Raum der Stille) in der Schule, in dem wir einmal wöchentlich anzutreffen sind. Am Anfang haben wir ihnen auch gesagt, wo wir uns in der Pause immer aufhalten, damit sie bei Problemen wissen, wo sie uns finden können. Zudem haben wir noch den Kummerkasten gemacht: Jede/r sollte dann auf einen Zettel schreiben, was ihn/sie stört oder, wenn alles gut ist, wenigstens einen Smiley oder so darauf malen. Für die meisten Kinder war es am Anfang ziemlich schwierig, direkt auf uns zuzukommen und uns anzusprechen, weil viele zu Beginn sehr schüchtern waren. Da hat dann dieser Kummerkasten schon einmal geholfen.

Wie helft ihr als Streitschlichterinnen, gibt es einen typischen Ablauf bei Konfliktfällen?

Marike: Bei der Mediation gibt es fünf Phasen. In der Ausbildung haben wir gelernt, wie diese ablaufen und wie man den Konflikt am besten löst. Als erstes gehen wir erst einmal mit ihnen in den „Sockenraum“. Wenn es wirklich so ein großer Streit ist, dass sie noch nicht einmal gemeinsam in einem Raum sein können, dann klärt man das natürlich einzeln. Besser ist es aber, wenn sie zu zweit im Raum sind und man als Streitschlichter/-innen auch zu zweit ist. Die erste Phase ist dann die Einleitung, da erklärt man die Regeln – also das immer nur einer spricht, keiner verletzt, kränkt oder beleidigt und dass das Gespräch vertraulich ist, also im Notfall dem/der Klassenlehrer/-in davon berichtet wird, aber nicht in der Klasse Klassenkameraden davon erzählt werden darf. Die zweite Phase ist dann, dass jede/r seine/ihre Sichtweise erklären darf. Dabei ist wichtig, dass jede/r dabei aussprechen darf, niemand dem- oder derjenigen ins Wort fällt oder der/die andere unterbricht und sagt: „Das stimmt ja gar nicht, das war ganz anders…“ Jede/r soll seine/ihre Sichtweise erklären können. Dafür müssen die Streitschlichter/-innen sorgen. Die dritte Phase ist dann, dass man den Konflikt erhellt und man versteht, was dahinter steckt und mit den Beteiligten darüber redet. Man versucht dann zum Kern der Verletzung vorzudringen und fragt: „Was verletzt eigentlich im Kern?“. Das muss man als Streitschlichter/-in dann auch oft selbst ansprechen, denn es kommt vielleicht nicht von den Schüler/-innen selbst. Wenn es dann klappt und man dem/der einen erklären kann, warum der/die andere so gehandelt hat und was er/sie fühlt, dann schließt sich die vierte Phase an. Das ist dann die Konfliktlösung: Man versucht, mit beiden zusammen eine Lösung zu finden. Das kann auch ganz schön schwierig werden, bis beide wirklich damit einverstanden sind. Da muss man dann auch vorher darauf hinarbeiten: Es ist wichtig, dass beide dann nicht mehr so wütend sind und sich auf eine gemeinsame Lösung einlassen können. Danach macht man eine Vereinbarung bzw. einen Vertrag – schriftlich. Alle Beteiligten unterschreiben. Eine Woche später trifft man sich noch einmal um zu schauen, wie es klappt und ob die Vereinbarung eingehalten wird oder ob man etwas noch verbessern kann.

Welche Themen begegnen Ihnen und euch in der Streitschlichtung?

Nele: Bis jetzt hatten wir eher so kleinere Streits, die entstanden sind, weil man einmal geschubst wurde oder weil ein Stift gestohlen wurde. Seltener sind die Fälle, in denen ein/e Mitschüler/-in dann beleidigt wurde, weil er/sie dicker war und sich ausgegrenzt gefühlt hat oder auch deswegen gemobbt wurde.

Wennemer-Heitjan: Ja, äußere Erscheinungsmerkmale sind häufig Anlass, warum Kinder ausgegrenzt werden. Was auch oft vorkommt ist, dass ehemals beste Freundinnen sich neu orientieren und dann dadurch Streitereien auftreten. Das kommt bei Mädchen häufiger vor, so wie ich das beobachte. Ansonsten gibt es immer Situationen und Geschehnisse, über die man in Streit geraten kann – das kann z.B. schon ein zerbrochenes Lineal sein – das ist sehr vielfältig.

Und streiten Jungs und Mädchen unterschiedlich?

Alle: Ja! Marike: Ich hatte einen Fall, da sind Jungen untereinander in Streit geraten. Sie haben sich dann nicht beleidigt und darüber irgendwann begonnen zu weinen, sondern sie haben sich solange Beleidigungen an den Kopf geworfen, bis sie sich geprügelt haben. Das war dann schon eine andere Art von Konflikt – dieser entstand nicht wegen äußerer Erscheinungen, sondern aus diesen Beleidigungen heraus, die sogar die Eltern betrafen. Die Beteiligten wollten ihre Kränkungen dann gar nicht zeigen, sich das aber auch nicht gefallen lassen. So ist es dann zu einem heftigen und langanhaltenden Streit ausgeartet. Und dabei waren das sogar Freunde, die sich so gestritten haben. Durch Kleinigkeiten wurde es dann zum riesigen Streit. Wir haben dann interveniert. Einer der Beteiligten wurde auch immer sehr schnell sehr aggressiv – das haben uns auch andere Mitschüler/-innen berichtet – daher haben wir mit ihm auch noch auf besondere Weise gearbeitet. Wir haben mit ihm Strategien erarbeitet, damit er nicht so schnell aggressiv wird: Zum Beispiel erst einmal weggehen, wenn er merkt, dass er wütend wird, oder erst einmal bis 20 zählen und nicht sofort reagieren. Die Beteiligten haben nach einer Woche auch berichtet, dass es besser wird – es ist natürlich nicht von jetzt auf gleich perfekt, aber es wurde besser und hat alle entlastet.

Johanna: Bei Mädchen ist es eher dieses Zickige. Sie lassen nicht einfach ein anderes Mädchen mitspielen….Jungs sagen dann schnell: „Ja, dann spielt der halt auch noch mit“. Mädchen hingegen entscheiden, wer jetzt mitspielen oder mitreden darf und wer nicht. Teilweise finde ich die Mädchen sogar anstrengender als die Jungs. Da dauert es länger und ist komplizierter, bis man die Situation überhaupt geklärt hat. Beide Seiten haben einfach immer Argumente für ihre Sicht und lassen sich nicht so schnell auf die andere Sichtweise ein…

Leona: Es gab bei unserer fünften Klasse auch Konflikte zwischen Jungen und Mädchen. Es ist in der fünften Klasse noch nicht so, dass die Jungen mit den Mädchen spielen oder viel besprechen. Daher haben sich die beiden Gruppen eher getrennt. Es gab sogar eine Mädchen-Jungen-Sitzordnung. Daraus resultierten dann immer mal wieder Fälle wie der, bei dem ein Mädchen berichtete, der Junge hätte sie jetzt geärgert, weil er in sie verliebt sei. Da gab es viele Konflikte…Und die gehören dann zu einem/einer Streitschlichter/-in, der/die gleichzeitig Pate ist, genauso dazu wie heftigere Streits und Verletzungen.

Welche vielfältigen Zusammensetzungen von Beteiligten bei Konflikten erleben Sie/ erlebt ihr?

Leona: Es gibt eher klasseninterne Konflikte, teilweise dann noch klassen- und stufenübergreifend. Auf dem Schulhof gab es zum Beispiel schon auch ältere Schüler/-innen, die sich am Brötchenstand immer vorgedrängelt haben. Als Streitschlichter/-innen hat man dann auch mit ihnen geredet. Seltener gibt es auch noch Probleme mit Lehrer/-innen. In solchen Fällen haben wir versucht, den Lehrer/-innen die Sicht der Kinder näher zu bringen und so den Konflikt aufzulösen.

Welchen Stellenwert hat für euch eure Tätigkeit als „Paten“ und zugleich „Streitschlichterinnen“? Findet ihr die Arbeit wichtig?

Nele: Ich empfinde es als sehr wichtig, aber es macht auch sehr viel Spaß. Man hat eine sehr gute Verbindung zu den Kindern und ist die erste oder zweite Ansprechpartnerin bei Problemen. Zudem hat man auch eine Vorbildfunktion. Und das ist einfach…cool!

Leona: Für mich ist es auch wichtig, dass wir nicht nur den Konflikt lösen, wenn er da ist, sondern auch schon vorbeugend begleiten, weil wir ja vorher schon die Klassengemeinschaft stärken. Durch unsere Begleitung kam und kommt es vielleicht auch gar nicht soweit, dass großer Streit entsteht.

Marike: Insbesondere in der fünften Klasse erachte ich diese Begleitung durch Paten und Streitschlichter/-innen als wichtig. An eine neue Schule zukommen ist so ein großer, wichtiger Abschnitt für die Kinder. Wenn man Paten hat – neben den Klassenlehrer/-innen, dann ist es einfacher, in den Schulalltag zu finden. Man muss nicht fremde Schüler/-innen ansprechen um zu wissen, wann und wo der Bus fährt….Als wir in der fünften Klasse waren, hatten wir keine Paten und wir haben uns sogar im Gebäude verlaufen, weil wir uns einfach nicht getraut haben, die älteren Schüler/-innen anzusprechen. Und so ist es mit dem Patenprogramm jetzt viel besser und entspannter.

Johanna: Wir sind genauso Schülerinnen wie sie auch und deswegen ist es für sie leichter, uns anzusprechen oder einfach mit uns in den Bus gemeinsam einzusteigen, weil ja auch wir damit nach Hause fahren.

Könnt ihr Inhalte und Methoden der Streitschlichtung auch für euch persönlich nutzen?

Marike: In der Stufe ist es vielleicht etwas schwierig, das Gelernte anzuwenden, weil die Mitschüler/-innen ja im gleichen Alter sind. Ich konnte es vor allem Zuhause anwenden oder meine Mutter meinte bei Konflikten: „Du bist doch Streitschlichter, wie lösen wir das denn jetzt?“ Und dann haben wir uns auch Zuhause an den Tisch gesetzt und versucht, die Hintergründe zu begreifen und es zu klären. Das ist schon praktisch.

Nele: Dadurch, dass man Streitschlichtung intensiv gelernt hat, bleibt man auch bei einem Streit, den man nur zufällig mitbekommt, stehen und versucht zu klären. Man schaut halt nicht weg. Bei uns gegenüber im Klassenraum haben sich auch einmal welche geprügelt und dann habe ich das mal schnell unterbrochen…

Und wenn ihr euch selbst mal streitet? Denkt ihr über den anderen anders als vor der Ausbildung nach?

Leona: Man hat schon gelernt, in solchen Situationen abzuwägen und abzuschätzen, wie der/die andere reagieren könnte. Und das hilft einem vor allem in der Familie oder bei Freunden schon oft. Man fragt sich auch schneller, ob der/die andere es vielleicht gar nicht so schlimm meint, wie es bei einem selbst ankommt und ob das Gegenüber vielleicht nur selbst durch meine Aussagen verletzt oder gekränkt ist.

Bemerken Sie in Ihren Alltagsbegegnungen, dass Ihre Kompetenzen im Bereich der Streitschlichtung auf eigene Konfliktsituationen Einfluss nehmen?

Wennemer-Heitjan: Unbedingt, ich habe das verinnerlicht und gehe an Streit anders heran. Bevor ich selbst ungehalten werde, überlege ich im Vorfeld schon, warum der andere jetzt so reagiert hat. Also ich mache mir schon mehr Gedanken.

Mit dem Blick auf Ihre und eure Erfahrung: Welche Grenzen sehen Sie / seht ihr bei Streitschlichtung?

Leona: Auf jeden Fall würde ich sagen, es hört da auf, wo Schüler/-innen gewalttätig werden oder Schüler/-innen stark gemobbt werden. Wo wir als Streitschlichter/-innen dann eher Frau Wennemer-Heitjan und die Klassenlehrer/-innen mithinzunehmen müssen.

Wennemer-Heitjan: Diebstahl oder Körperverletzung – also Straftatbestände – und wenn eine Partei nicht bereit ist zur Streitschlichtung. Beides ist aber noch nicht vorgekommen.

Was würden Sie sich / ihr euch für Schule in diesem Themenbereich wünschen? Für Schüler/-innen? Für Lehrer/-innen? Für Eltern?

Marike: Wir wünschen uns – und das haben wir auch schon weitergegeben –, dass vielleicht eine Stunde in der Woche eingerichtet wird, wo die Paten Zeit haben zu den Klassen zu gehen. Denn bisher mussten wir immer den Unterricht stören und den Lehrer/-innen fehlt dann diese Zeit. Wir hatten dann den Eindruck, dass sie es nicht so gut finden, dass sie mit ihrem Stoff nicht weiterkommen – auch wenn das jetzt nur einmal im Monat vielleicht vorgekommen ist. Und für uns war es auch kein gutes Gefühl, dass wir die Lehrer/-innen dann eigentlich stören. Es gäbe auch die Möglichkeit, das Thema wenigstens alle zwei Wochen in den Stundenplan aufzunehmen oder mit in die Lernen-lernen-Stunde zu integrieren, damit man einen akzeptierten Ort hat.

Wennemer-Heitjan: Ich find die Idee toll! Ich würde mir zum einen wünschen, dass ich noch viele solch toller Streitschlichter/-innen bekomme. Zum anderen wünsche ich mir, dass die Kolleginnen und Kollegen den großen Nutzen noch mehr erkennen, für Schüler/-innen aber auch für sich selbst. Dass sie erkennen, dass die Paten und Streitschlichter/-innen sie letztlich auch entlasten. Die Bewertung dieses Programms müsste da vielleicht noch eine etwas andere werden…

Kann es eine mobbingfreie Schule geben oder wie sieht Ihr / euer persönliches Ideal einer Schule aus?

Johanna: Ich glaube, dass Schule ohne Streit schwierig ist, weil Streit irgendwie dazu gehört. Es gibt immer Dinge, die geklärt werden müssen…Ohne Mobbing wäre natürlich toll. Da müsste man dann vorbeugend gegen vorgehen – so wie an unserer Schule mit den Paten – so könnte es eine mobbingfreie Schule schon geben.

Leona: Man könnte es noch weiter optimieren, wie z.B. mit der Stunde, die eingerichtet werden soll. Dadurch könnten diese Anti-Mobbingstunden noch öfter gemacht und Mobbing verhindert werden. Und in diesem Zusammenhang sollte es vielleicht auch Stunden oder Möglichkeiten geben, die klassen- und stufenübergreifend abgehalten werden, damit man sich besser kennenlernt…dann kann es vielleicht wirklich funktionieren, dass man eine mobbingfreie Schule wird.

Wennemer-Heitjan: Konfliktfrei nein! Das wäre auch nicht gesund. Da würde zu viel unter den Teppich gekehrt, was hinterher wieder zutage tritt. Aber mobbingfrei – das ist ein Ideal –das könnte man anstreben, wenn bestimmte Regeln eingehalten werden und bestimmte Stellgrößen richtig eingestellt sind, dann müsste das machbar sein.

Vielen Dank für das Gespräch.

Angelika Wennemer-Heitjan ist Lehrerin für die Sekundarstufe I und II und unterrichtet die Fächer Ernährungslehre und Erdkunde. Von Dezember 2005 bis November 2006 nahm sie an einer Qualifikation zur Mediatorin teil und ist seither Streitschlichterin an Schule. Seit 2009 ist sie am Emsland-Gymnasium in Rheine tätig und initiierte zur Implementierung einer Streitkultur an der Schule das Programm Patenamt und Streitschlichtung für die fünfte Klasse.

Johanna Hartmann, Nele Helming, Marike Möllenkotte und Leona Rudolph sind Schülerinnen der Oberstufe des Emsland-Gymnasiums in Rheine und engagierte Patinnen sowie Streitschlichterinnen an der Schule.